Dillingen

Ebenfalls als einer der ersten Bahnhöfe an der Strecke von Saarbrücken nach Trier besaß Dillingen ein Empfangsgebäude. Dieser 1858 errichtete Bau ist nicht mehr erhalten. Es existiert jedoch eine Fotografie, die zeigt, dass dieses Gebäude dem inzwischen bekannten Bautyp "Rechteck mit Mittelrisalit" entsprach, also zweigeschossig mit Rundbogentüren, Rechteckfenstern in den Obergeschossen, Gurt- und Sohlbankgesimse. Auch hier sind wieder die Rundbogen auf Konsolen zu beobachten. Zwischen 1890 und dem ersten Weltkrieg wurde das Gebäude ganz erneuert. Leider konnte das Erbauungsdatum nicht genauer festgestellt werden. Ein Gebäudekomplex entstand, der sich zwar im Grundriss als Rechteckbau mit unregelmäßigen Risaliten präsentiert, im Außenbau aber eine komplexe Gestalt besitzt. Dies war übrigens ein allgemeiner Trend, der gegen Ende des Jahrhunderts auftrat und sich im Saarland schon in Luisenthal angekündigt hatte. Das Dillinger Gebäude ist heute zwar verändert, zeigt aber im groben noch die alte Struktur.

Die Gleisseite ist heute von einem neueren Schutzdach fast ganz verdeckt. Ein Personentunnel führt zu den Inselbahnsteigen.  Der Grundriss von 1982 weist eine zentrale, durchgehende Vorhalle auf mit nördlicher angrenzender Fahrkartenausgabe, einem Aufenthaltsraum und der Gepäckaufgabe. Den gesamten Südteil rechts nimmt die Gaststätte ein.  Die Innenaufteilung wurde mit Sicherheit in neuerer Zeit verändert; ursprünglich befanden sich vielleicht die heute fehlenden Wartesäle in den Räumen der Gaststätte.   Es existiert eine Fotografie, die vor dem Ersten Weltkrieg aufgenommen wurde und die das Empfangsgebäude vermutlich noch in seiner ursprünglichen Gestalt zeigt.  Der nördliche Gebäudeteil ist ein nahezu quadratischer Bau mit Eckrisalit mit Frontgiebel zur Straße hin, der das Treppenhaus enthält. Der hohe, dreigeschossige Sandsteinbau beherbergt heute die Verwaltungsräume. Das Walmdach trug anfänglich mehrere Schleppgauben, die heute verschwunden sind. Die ganz unterschiedlich gestalteten Fenster und Türen - es kommen Rund-, Spitz- und Kleeblattbogen vor - zeigen durch ihre langgestreckten Formen Anklänge an die Gotik.  In der Mitte liegt ein eingeschossiger, ebenfalls unverputzter Sandsteinbau mit weit vorspringendem Eingangsbereich. Das Satteldach ist traufständig, der Risalit besitzt einen Frontgiebel. Die segmentbogigen Fenster sind sehr hoch, die Glasflächen durch Sprossen in sehr kleine Felder unterteilt, die an Butzenscheiben erinnern. Die Fenster werden von angedeuteten Pilastern getrennt. Im Bereich des segmentbogigen Portals ist der Risalit strebepfeilerartig verbreitert - was wegen der neueren \u00dcberdachung - heute kaum noch zu sehen ist. Der Portalbogen besaß offenbar eine Art Maßwerk aus filigranen Steinsäulen, die wohl bei der Errichtung des heutigen Vordaches abgebrochen wurden.  Über dem Eingang sitzt die Uhr in einer aufwendigen Rahmung, die an Formen der "deutschen" Renaissance erinnert: ein Gesims auf Konsolen trägt einen Kielbogen mit mehreren kreuzenden und bekrönenden Säulchen, Voluten und fialenartigen Aufsätzen. Zwei Voluten, die ehemals wahrscheinlich Inschriften bekrönten, sind ebenfalls noch erhalten.  Südlich schließt sich ein weiterer, leicht vorspringender Bauteil an, der ursprünglich nicht höher als der Mittelteil war und ein Krüppelwalmdach sowie Fachwerk im Obergeschoss der Straßenfassade besaß. Im Erdgeschoss befanden sich unterschiedlich große Segmentbogenfenster, wieder mit butzenartigen Scheiben.

Eine Aufnahme von 1904 zeigt noch die Originalfenster der Gleisseite: je ein großes, "zweistöckiges" Drillings- bzw. Zwillingsfenster.  Vermutlich nach Kriegszerstörungen wurde das Obergeschoss dieses Bauteils später in Steinbauweise wieder aufgebaut und aufgestockt. Es ist heute verputzt. Nur im Erdgeschoss sind teilweise die segmentbogigen Fenster erhalten, ansonsten finden sich überall einfache Rechteckfenster.  An der südlichen Schmalseite ist heute noch ein einzelnes Fenster erhalten, das wahrscheinlich die gleiche Form hatte wie das gleisseitige. Hier wird ein Zwillingsfenster in Form von sehr frei behandelten Schulterbogen von einem profilierten, segmentbogigen Rahmen zusammengefasst. Dabei ist das Feld zwischen Bogen und Fenstersturz heute geschlossen. Ursprünglich befanden sich hier wahrscheinlich zwei weitere Öffnungen. Anstelle der Kapitelle unterhalb des Fenstersturzes sind Ornamentformen zu sehen, die Weinblättern nachgebildet sind.  Auf einer Aufnahme von 1930 ist noch ein weiterer Anbau im Norden zu sehen, der heute verschwunden ist. Es handelt sich um ein traufständiges Fachwerkgebäude mit steilem Krüppelwalmdach mit mehreren kleinen Gauben und segmentbogigen Öffnungen.   Am Dillinger Empfangsgebäude wurden Elemente aus den verschiedensten Stilen und Bautypen aufgenommen und miteinander kombiniert. Am ehesten kann man das Gebäude als Vertreter einer nordischen, bürgerlich-bäuerlichen Renaissance-architektur ansprechen. Vielleicht auch vom Rheinland beeinflusst, verwendete man hier statt Ziegeln allerdings unverputzten Sandstein.  Dies war durchaus üblich an Bauten der "deutschen" Neurenaissance. Diese erreichte übrigens am Ende des Jahrhunderts ihren Höhepunkt, was für ein Entstehen des Dillinger Gebäudes um 1900 spricht. Die Fenster des dreigeschossigen Gebäudeteils sind der Gotik nachempfunden , wobei sich keine Form wiederholt und jedes Fenster als Einzelstück dasteht.  Der Eingangsbereich mit seinen strebepfeilerartigen Ausbuchtungen und dem "Maßwerk" ist der gotischen Sakralbaukunst entnommen.  Die Rahmung der Bahnhofsuhr erinnert dagegen an Formen der Nordischen Renaissance, vor allem an die zahlreichen Voluten- und Treppengiebel, die oftmals ganz ähnliche Fialenbekrönungen besitzen. Neben den italienischen Renaissanceformen waren im 16. Jahrhundert auch noch gotische Elemente gebräuchlich - analog dazu taucht in Dillingen der seit der Spätgotik verwendete Kielbogen auf.  Formen wie die der Dillinger Bahnhofsuhr kommen auch im späteren 19. Jahrhundert an zahllosen Neurenaissancefassaden vor.  In der Bahnhofsarchitektur blieben solche aufwendigen Formen höchst selten. Jedoch findet man an dem außergewöhnlichen Empfangsgebäude von Essen (1897) von Fritz Klingholz Volutengiebel, die die Dillinger Bahnhofsuhr vergrößert wiederholen.  Auch die Uhr in dem bereits bekannten Aachener Entwurf sitzt in einem Volutengiebel mit Fialen, der sich allerdings stärker an italienischen Formen orientiert. Im Gegensatz zu Dillingen handelt es sich hierbei um einen freistehenden Ziergiebel und nicht um eine auf den eigentlichen Giebel aufgetragene Dekoration.  Ebenfalls an die "deutsche" Renaissance, und in diesem Zusammenhang auch an die "zweistöckigen" Fenster in Luisenthal erinnert das als einziges noch erhalten gebliebene Fenster an der südlichen Schmalseite. Allerdings wurden die Pilaster äußerst frei gestaltet; die stilisierten Blätter der "Kapitelle" scheinen eher Reminiszenzen an den Jugendstil zu sein.  Die angrenzende Reihe der hohen Segmentbogenfenster sind ein typisches Gestaltungselement der Bahnhofsarchitektur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie folgten auf die offenen Vorhallen, wie sie besonders gern im Rundbogenstil verwendet wurden.  Ungewöhnlich sind die kleinteiligen Fenster, die an Butzenscheiben an mittelalterlichen Bürger- und Bauernhäusern erinnern. Die angedeuteten Pilaster zwischen den Fenstern des Mittelteils verweisen dagegen wieder auf klassizistische Stile.  Die beiden seitlichen Dillinger Bauten schließlich besitzen das Fachwerk und die steilen Krüppelwalmdächer von Bauernhäusern , greifen also Formen der Volkskunst auf. Auch die nachgeahmten Butzenscheiben erscheinen wieder.  Dieser sogenannte "Heimatstil" ist an kleineren Empfangsgebäuden durchaus nicht ungewöhnlich und wurde im 19. Jahrhundert bis zum ersten Weltkrieg in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder angewandt (z. B. am Empfangsgebäude von Cochem von 1913).  Auffallend ist in Dillingen jedoch die Kombination der "deutschen" Renaissance mit Elementen des "Heimatstils". Diese taucht bei keinem anderen Empfangsgebäude auf - weder bei den oben angeführten Beispielen der Neurenaissance, noch bei Bauten des "Heimatstils".

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